VITA 023/20: Aus gutem Holz geschnitzt

Ein Bewohner des Altersheims Belp öffnet seine Tür und erzählt vom partnerschaftlichen Austausch zwischen Pflege und Bewohnerinnen und Bewohnern – und davon, welche ganz persönliche Partnerschaft er sich für seinen letzten Lebensabschnitt wünscht.

«Es war am 20. August vor zwei Jahren.» Auf den Tag genau kann Hans Oswald sein Eintrittsdatum ins Altersheim Belp nennen. «Wenn ich noch besser auf den Beinen wäre, wäre ich schon lieber auf meinem Hof geblieben », meint der 85-Jährige. Seine drei Töchter haben ihm Belp als Alterssitz ans Herz gelegt, und es gefalle ihm hier sehr gut. Bis auf das Essen. Das könne schon etwas mehr Würze vertragen, und er möge das «neumoderne Zeugs» einfach nicht. Lieber wäre ihm ein gutes Schweinskotelett – schön angebraten, nicht gekocht. Hans Oswald weiss, was er will, aber immer wählt er seine Worte mit Bedacht und nie ist sein Tonfall vorwurfsvoll.

Sein Anliegen hat er am «Runden Tisch» eingebracht. Hier versammeln sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit der Bereichsleitung und stossen auf offene Ohren, wenn es um Veränderungen, Kritik, aber auch um ein Lob geht. «Das Pflegepersonal ist sehr nett zu mir.» Auch während «dieser komischen Virus-Zeit» fühlte er sich stets sehr gut aufgeklärt und aufgehoben. Die schöne Aussicht, das Dorf Belp, die Jassrunden, die Ausflüge zu den Viehmärkten, die wöchentliche Physiotherapie und die Nähe zu seinen Töchtern zählt der ehemalige Besitzer von über 30 Mutterschweinen, 9 Kühen und 3 Rindern ebenso als Pluspunkte auf. Die guten Zugverbindungen und den nahe gelegenen Flughafen schätzt er genauso. Letzteren brauche er zwar nicht, teilt er mit einem verschmitzten Lächeln mit. «Das Meer habe ich nie gesehen. ‹Vielleicht später›, dachte ich immer, doch dann wurde meine Frau krank», sagt er mit wässrigen Augen, und streicht sich nachdenklich mit seinen kräftigen Fingern über das Kinn. Und es wird deutlich, dass Hans Oswald sich gerne an diese vergangenen Tage erinnert.

Oswald war schon immer ein bescheidener Mann. Ein liebenswerter «Chrampfer». Geboren im Berner Oberland als Sohn eines Taglöhners, wuchs er mit 12 Geschwistern in einem Haus ohne Elektrizität, Wasseranschluss und Badezimmer auf. Er erwähnt beiläufig, dass er ein Verdingbub gewesen sei. «Ich war deshalb nie enttäuscht von meinen Eltern. Es war halt einfach nicht genug Essen da für alle.» Das Brot war knapp, und Käse gab es nur bei der Käserei, wo die Kinder erpicht auf die Späne waren, die zum Abrunden der Kanten von den Laiben abgeschnitten wurden. Mit 23 Jahren begann er die Ausbildung an der Landwirtschaftsschule. Zuvor war er drei Jahre lang Melker. Dieses Handwerk hat er von Grund auf gelernt – «ganz ohne Melkmaschine». Zu dieser Zeit lernte er auch seine spätere Ehefrau Marie kennen, oder «Meieli», wie er sie liebevoll nennt. Sie war fünf Jahre älter als er und durfte von ihren Eltern den Hof übernehmen. Meieli liess Hans oft spüren, dass sie die Besitzerin war. Das hat er so hingenommen. Sie war «eine Gute zu ihm» und schliesslich setzte sich seine Schwiegermutter stets für ihn ein. Deren letzte Worte scheinen ihn bis heute zu berühren: «Du bist ein guter und lieber Mann, Hans. Trag weiterhin so gut Sorge zu meiner Tochter.»

Wenn er in Laune ist, schnitzt Hans Oswald in seinem Zimmer in Belp wunderschöne Holzarbeiten. Trotz der Gichtschmerzen in den Händen zählt das Schnitzen, das er sich nach der Pensionierung in einem Kurs angeeignet hat, bis heute zu seinen liebsten Beschäftigungen. Nebenbei bastelt er auch, oder aber er erfreut sich an den Beiträgen auswärtiger Musikanten und Sängerinnen und Sängern, die für die Menschen im Heim auftreten. Tatsächlich ist der Grossvater von fünf Enkelkindern sehr erfinderisch. So hat er für seinen Schwiegersohn einen Fliegenvorhang aus den normalerweise beinahe unbenützt im Abfall landenden Medikamentenbechern gefertigt. Seine Mitbewohnerinnen im Heim und auch die Pflegefachpersonen hätten ihn beim Sammeln der Becher unterstützt, so sei der Vorhang in kürzester Zeit in guter Partnerschaft realisiert worden.

Auf die Frage, was er sich denn noch wünschen würde, getraut sich Hans Oswald kaum zu antworten. «Es ist blöd, wenn ich das sage», meint er, und fügt zögerlich an: «Ich hätte wahnsinnig gerne noch eine Freundin.» Ein Bedürfnis, das auch im hohen Alter seine Berechtigung hat. «Nicht, dass Sie mir jetzt noch eine stricken!», meint er lachend. Eine liebe Partnerin, die ihn zu Viehschauen, Alpabzügen oder anderen Ausflügen begleiten und ihm neue Erinnerungen schenken würde, meint er abschliessend. So wird klar, dass Hans Oswald nicht nur bescheiden auf sein bisheriges Leben zurückblickt, sondern ebenso freudvoll in die Zukunft schaut – ein Mann, aus gutem Holz geschnitzt, dankbar und zufrieden im Altersheim Belp.

 

VITA 03/20

Diesen sowie weitere Artikel finden Sie in der aktuellsten Ausgabe des VITA-Magazins, welches im Spital Belp aufliegt und auch online verfügbar ist.